Entgeltfortzahlung

Künstliche Befruchtung ist keine Krankheit

06. März 2017
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Quelle: © Andy Dean / Foto Dollar Club

Eine Arbeitnehmerin, die sich einer künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) unterzieht, um schwanger zu werden, kann für Fehlzeiten keine Entgeltfortzahlung beanspruchen. Eine Krankheit liege in diesem Fall nicht vor, entschied das BAG. Die Beschäftigte habe ihren Ausfall am Arbeitsplatz selbst verschuldet.

Die 1972 geborene Arbeitnehmerin ist seit 1994 als Erzieherin in einer Kindertagesstätte tätig. Ihr Arbeitgeber ist der Trägerverein der Kindertagesstätte. Ihr Lebensgefährte war nur eingeschränkt zeugungsfähig. Da sie sich Kinder wünschten, unterzog sie sich In-vitro-Fertilisationen. Bei dieser Methode der künstlichen Befruchtung werden befruchtete Eizellen in den Uterus eingeführt (so genannte Inseminationen).

Mehrfache Krankschreibung für Befruchtungsversuche

Im Jahr 2014 wurde von ihrer behandelnden Ärztin mehrfach krankgeschrieben, zuerst wegen einer Operation vom 26.05. bis 3.06.2014. Anschließend war sie wegen der Befruchtungsversuche drei Mal krankgeschrieben, vom 14.07. bis 1.08., vom 15.08.  bis 29.08. und vom 21.11. bis 8.12.2014.Ihr Arbeitgeber hatte keine Kenntnis vom medizinischen Grund der Krankschreibungen. Er zahlte ihr weiterhin Arbeitsentgelt nach Maßgabe des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG). Nachdem der Arbeitgeber von den Behandlungen erfuhr, forderte er von der Arbeitnehmerin einen Betrag von rund 5400 Euro für das netto ausgezahlte Gehalt zurück. Der Verein war der Ansicht, für die Inseminationen nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet zu sein. Der Verein zog der Erzieherin die Überzahlung von ihren Netto-Gehältern für die Monate März bis Juni 2015 insgesamt 2.300 Euro ab. Dagegen klagte die Erzieherin vor dem Arbeitsgericht.

Untere Instanzen gaben Klägerin Recht

Das Arbeitsgericht verurteilte den Verein, seiner Arbeitnehmerin die 2.300 Euro wieder zurückzuzahlen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein wies die Berufung gegen das Urteil  zurück und entschied, die Klägerin habe mit Recht die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG erhalten, da ihre Fruchtbarkeitsbehandlung einen medizinisch gebotenen Eingriff darstelle. Ihre Arbeitsunfähigkeit in Folge der Inseminationen sei daher nicht selbst verschuldet im Sinne von § Abs. 1 Satz 1 EFZG (LAG Schleswig-Holstein, 7.01.2016 - 4 Sa 323/15). Dieses Urteil hob das Bundesarbeitsgericht (BAG) wieder auf und verwies das Verfahren nach Schleswig-Holstein zurück.

BAG: Keine Entgeltfortzahlung für künstliche Befruchtung

Nach Ansicht des BAG hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeiten, in denen sie während ihrer Fruchtbarkeitsbehandlung arbeitsunfähig krankgeschrieben war.

Die Klägerin habe ihren Arbeitsausfall während dieser Zeiten im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG selbst verschuldet. Daher sei ein Entgeltfortzahlungsanspruch ausgeschlossen. Ein verständiger Arbeitnehmer müsse das Interesse haben, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden. Zwar liege eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne des EFZG auch dann vor, wenn erst eine zur Behebung einer Krankheit erforderliche Heilbehandlung dazu führt, dass der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen kann.

Allerdings könne die Klägerin entgeltfortzahlungsrechtlich nicht allein aufgrund der Unfruchtbarkeit ihres Partners als »krank« angesehen werden. Zwar stelle die Zeugungsunfähigkeit des Partners der Klägerin eine Krankheit dar. Die Empfängnisfähigkeit der Klägerin sei jedoch nicht eingeschränkt gewesen. Erst die In-vitro-Fertilisation und damit in Zusammenhang stehende Eingriffe und Maßnahmen führten bei ihr möglicherweise zu einem regelwidrigen Körperzustand und damit einer Erkrankung. Der Kinderwunsch, den sich die Klägerin mit der Behandlung erfüllen wollte, sei hingegen keine Erkrankung, sondern  betreffe die individuelle Lebensgestaltung des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber habe nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG aber nur das allgemeine Krankheitsrisiko des Arbeitnehmers zu tragen, nicht aber die weitergehende persönliche Lebensentscheidung der Klägerin, Kinder zu bekommen. Daher stehe ihr der Anspruch nicht zu.

Mutterschutz besteht weiterhin

Das BAG stellte in seiner Entscheidung klar, dass die künstliche  und die auf natürlichem Wege herbeigeführte Schwangerschaft gleich behandelt werden. Auch für die Klägerin komme ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Übrigen dann in Betracht, wenn es bei der Schwangerschaft zu nicht vorhersehbaren Komplikationen komme. Das Mutterschutzgesetz gilt auch bei einer Schwangerschaft nach einer künstlichen Befruchtung. Das bedeutet, dass insbesondere ein Anspruch auf Mutterschutzlohn (§ 11 MuSchG) bestehen kann und der besondere Kündigungsschutz (§ 9 MuSchG) für werdende Mütter gilt. Ob und ab wann der Klägerin diese Ansprüche zugestanden haben, muss das LAG Schleswig-Holstein in einem neuen Verfahren prüfen.

Lesetipp:

»Krank im Arbeitsverhältnis« von Schulze/Ratzesberger in AiB 11/2015, S. 38-40.

© bund-verlag.de (ck)

 

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