Arbeitsschutz

9 Fragen zu Corona und Gesundheitsschutz

Mundschutz_Corona
Quelle: pixabay

Der Arbeitgeber hat gegenüber seinen Mitarbeitern eine Fürsorgepflicht. Aber was passiert, wenn er diese nicht einhält und damit Beschäftigte gefährdet? Was muss der Arbeitgeber tun, wenn ein Mitarbeiter in einem Corona-Krisengebiet war? Kann er jetzt noch Präsenzmeetings anordnen? Antworten gibt Rechtsanwalt Dr. Michael Bachner, Autor unseres BetrVG Kommentars, im Interview.

Vorbemerkung: Unser Interviewpartner bittet vorwegzuschicken, dass die Corona-Krise völliges Neuland ist. Vor diesem Hintergrund sei abzuwarten, wie die Gerichte die Auswirkungen dieser Krise auf bestehende Rechtsfragen bewerten werden.

1. Kann der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer kündigen, wenn er in behördlich angeordnete Quarantäne muss oder krank wird?

Sobald das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, ab zehn Vollzeitarbeitnehmern, kann der Arbeitgeber nur noch aus betriebsbedingten, verhaltensbedingten oder personenbedingten Gründen kündigen.

Hier käme allenfalls eine personenbedingte Kündigung wegen Krankheit in Betracht. Diese setzt jedoch eine negative Prognose voraus, namentlich die Annahme, dass die Störung des Arbeitsverhältnisses fortbestehen wird. Quarantänemaßnahmen wegen des Coronavirus sind zeitlich begrenzt. Damit fehlt es an einer negativen Prognose.

2. Muss der Arbeitgeber informiert werden, wenn ein Mitarbeiter auf behördliche Anweisung in häuslicher Quarantäne muss? Wer informiert ihn? Muss der Arbeitgeber die Kollegen, die mit dem Betroffenen zusammenarbeiten, informieren und diese ebenfalls nach Hause schicken?

Wer in behördliche Quarantäne versetzt wird, ist in der Regel am Coronavirus infiziert. Damit wird gleichzeitig eine Arbeitsunfähigkeit vorliegen. Darüber muss der Arbeitnehmer informieren.

Ist der Mitarbeiter bloß ein Verdachtsfall und wird deswegen vom Gesundheitsamt in Quarantäne versetzt, wird dem Arbeitnehmer zu raten sein, auch über den Grund seiner Abwesenheit im Betrieb zu informieren. Jedenfalls dann wäre er hierzu verpflichtet, wenn ein konkreter und dringender Verdacht besteht, dass er als infizierter im Betrieb weitere Personen angesteckt haben könnte. Dies ergibt sich aus einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht, § 241 Abs. 2 BGB.

Andere, als der Mitarbeiter selbst, dürfen den Arbeitgeber nicht über eine Quarantänemaßnahme informieren. Auch die zuständigen Gesundheitsämter haben hierzu keine Befugnis. Bestehen konkrete Verdachtsmomente, können Sie aber betriebliche Quarantänemaßnahmen anordnen.

In der Regel wird bereits das zuständige Gesundheitsamt im konkreten Verdachtsfall den Arbeitgeber unterrichten undbetroffene Kollegen des Infizierten in Quarantäne versetzen. Sieht das Gesundheitsamt eine solche Notwendigkeit nicht und gibt hierzu auch keine Empfehlung ab, wird die Pflicht des Arbeitgebers zu Schutzmaßnahmen nicht darüber hinaus reichen.

3. Was passiert, wenn der Arbeitgeber nicht darüber informiert, dass ein Kollege in Quarantäne ist und andere Kollegen aufgrund des nicht unterbrochenen Kontaktes ebenfalls krank werden? Können die Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber dann gesetzliche Ansprüche geltend machen?

Es ist kaum möglich, gerichtsfest zu beweisen, wer sich von wem angesteckt hat. Deswegen ist dies eher eine theoretische Frage. Der Kollege, der sich in Quarantäne befindet, kann tatsächlich infiziert sein oder bloß im Verdacht stehen, es zu sein. Allenfalls dann, wenn tatsächlich eine Infektion im Betrieb aufgetreten ist und der Arbeitgeber die Pflichtmeldung an die zuständige Gesundheitsbehörde unterlässt, käme ein Schadensersatzanspruch in Betracht.

Gegen den Arbeitgeber sind Schadensersatzansprüche ohnehin auf dessen vorsätzliches Handeln beschränkt. Alle anderen Fälle sind von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst. Bislang jedoch wird die Infektion mit dem Coronavirus im Betrieb nur in eng begrenzten Ausnahmefällen als Arbeitsunfall anerkannt. Im Übrigen handele es sich um eine sogenannte Allgemeingefahr. Hierfür kommen Erstattungsansprüche nicht in Betracht.

4. Wie sieht es aus, wenn Arbeitnehmer aus einem Urlaub in einem Corona-Krisengebiet zurückkommen, oder aus einem Gebiet, das unmittelbar danach zum Krisengebiet erklärt wurde? Was muss der Arbeitgeber dann veranlassen?

Bei internationalen Risikogebieten handelt es sich um von der Verbreitung des Coronavirus besonders betroffene Gebiete, in denen eine fortgesetzte Übertragung von Mensch zu Mensch vermutet werden kann. Diese werden für Deutschland vom Robert-Koch-Institut festgesetzt.

Wer aus einem Risikogebiet einreist, wird in der Regel vom Gesundheitsamt kontaktiert und nach seinem individuellen Infektionsrisiko befragt.

Der Arbeitgeber darf den Rückkehrer nicht selbstständig dem Gesundheitsamt melden, er kann jedoch darauf hinwirken, dass der Arbeitnehmer dies von sich aus tut.

Das Robert-Koch-Institut empfiehlt für diese Personen einen Umgang analog der Empfehlungen für Kontaktpersonen der Kategorie II (geringeres Infektionsrisiko), solange keine konkreten größeren Verdachtsmomente bestehen. Dies bedeutet, dass eine Quarantäne nicht zwingend ist.

5. Kann der Arbeitgeber Präsenzmeetings anordnen, obwohl Telefon- oder Videokonferenzen stattfinden können? Kann er Mitarbeiter sanktionieren, die deswegen nicht ins Büro kommen?

Die Nichtbefolgung einer arbeitgeberseitigen Weisung ist vom Ausgangspunkt her ein Pflichtenverstoß. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Befolgung der Weisung für den Arbeitnehmer unzumutbar ist.

Nach der aktuellen virologischen Erkenntnislage können Präsenzmeetings mit entsprechenden Hygiene- und Präventionsmaßnahmen so durchgeführt werden, dass die Ansteckungsgefahr verschwindend gering ist. Für Nichtrisikogruppen ist zudem die Komplikationsrate im Falle von Infektionen als gering einzustufen.

Vor diesem Hintergrund wird es ohne besondere Anhaltspunkte im konkreten Fall für Arbeitnehmer zumutbar sein, an Präsenzmeetings teilzunehmen.

Verweigern Mitarbeiter die Befolgung darauf bezogener Weisungen dennoch, ist aufgrund der noch wenig validen Datenlage zum Krankheitsverlauf aber von einer nicht schuldhaften Pflichtverletzung auszugehen. Folge hiervon ist, dass der Mitarbeiter zwar für die Zeit der Nichtbefolgung seinen Vergütungsanspruch verliert, weitere Sanktionen, wie Abmahnung oder Kündigung, darauf aber nicht gestützt werden können. Dennoch wird den meisten Arbeitgebern anzuraten sein, auf Präsenzmeeting zu verzichten und stattdessen virtuelle Sitzungen durchzuführen.

6. Der Arbeitgeber sagt Dienstreisen nicht ab, der Mitarbeiter möchte diese nicht wahrnehmen. Kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dazu zwingen?

Soweit die Anordnung von Dienstreisen nach allgemeinen Grundsätzen arbeitsvertraglich zulässig ist, sind für die Dienstreise die gleichen Grundsätze wie für Präsenzmeetings anzuwenden (s.o.).

Der Arbeitnehmer begeht dann keinen Pflichtenverstoß, wenn die Anordnung zur Dienstreise unzumutbar ist. Dies ist aber nur bei Dienstreisen in anerkannte Risikogebiete, s.o., der Fall. Für diese Länder und Gebiete hat das Auswärtige Amt in der Regel Reisewarnungen herausgegeben. Auch die Notwendigkeit, für die Dienstreise ein Flugzeug benutzen zu müssen, wird man aktuell nicht als unzumutbar einzustufen sein können.

7. Mitarbeiter reisen auf längeren Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeitsstätte. Kann der Arbeitgeber das untersagen, damit nicht die Gesundheit der Kollegen beeinträchtigt wird?

Die Benutzung des Verkehrsmittels kann der Arbeitgeber allein für Dienstreisen vorschreiben. Für den Weg von und zur Arbeitsstätte ist ihm dies nicht möglich. Dies ist der private Lebensbereich des Arbeitnehmers.

Der Arbeitgeber kann jedoch dem Arbeitnehmer, der auf öffentliche Verkehrsmittel nicht verzichten kann oder will, das Betreten des Betriebsgeländes aktuell untersagen. Dies ist dann ein Fall einer entgeltlichen Freistellung. Für die Freistellung an sich dürfte der Arbeitgeber in der aktuellen Lage in diesem Fall ein berechtigtes Interesse haben. Für die Zeit der Freistellung bleibt jedoch der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers erhalten.

8. Haben Arbeitnehmer, die sich vom Arbeitgeber nicht ausreichend geschützt sehen, egal ob Home-Office möglich ist oder nicht, und die nicht in einem systemrelevanten Betrieb arbeiten, Anspruch auf unbezahlten Urlaub während der Coronakrise?

Unbezahlter Urlaub ist eine Form einer unentgeltlichen Freistellung. Wenn hierzu weder ein Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag etwas geregelt ist, ist die unentgeltliche Freistellung des Arbeitnehmers nur im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber möglich.

Zu beachten ist hier, dass nach vier Wochen unentgeltlicher Freistellung der Sozialversicherungsschutz entfällt.

Bleibt der Arbeitnehmer ohne Einverständnis des Arbeitgebers von der Arbeit fern, weil er sich nicht hinreichend geschützt fühlt, begeht er in der Regel eine Pflichtverletzung. Er verliert dann seinen Vergütungsanspruch. Daneben droht ihm auch eine Abmahnung oder eine Kündigung, wenn er für seine Weigerung keine triftigen Gründe hat. Die Verletzung des eigenen subjektiven Sicherheitsgefühls wird hierfür nicht ausreichen. Erforderlich ist eine objektive konkrete (nicht nur abstrakte) Gefährdungslage

9. Welche Anordnungen dürfen oder müssen Arbeitgeber in der Corona-Krise treffen und welche Rechte hat der Betriebsrat?

Zum einen hat der Arbeitgeber eine arbeitsvertragliche Schutz- und Fürsorgepflicht für seine Mitarbeiter, die ihn dazu verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus am Arbeitsplatz so gering wie möglich zu halten. Andererseits stehen dem Betriebsrat zwingende Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb nach § 87 Abs. 1 Nr.1 BetrVG zu.

Aus den Schutzpflichten des Arbeitgebers kann sich die Pflicht ergeben, Mundschutz- und Nasenschutz und Desinfektionsmittel bereitzustellen (soweit am Markt überhaupt noch verfügbar), insbesondere in Betrieben mit Kundenverkehr, sowie seine Mitarbeiter anzuweisen, bestimmte Schutzvorkehrungen, wie z.B. das Tragen von Mund- und Nasenschutz und Hygienemaßnahmen, wie wie z.B. regelmäßiges Händewaschen einzuhalten.

In der derzeitigen Situation empfiehlt es sich, dass Arbeitgeber und Betriebsrat zur Verhinderung einer Ausbreitung des Coronavirus zügig eine gemeinsame Regelung treffenIn Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern erfolgt eine Beratung über die Gefährdungslage im Betrieb und geeignete Maßnahmen am sinnvollsten im Rahmen des Arbeitsschutzausschusses nach § 11 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG). Hier sind neben dem Arbeitgebervertreter und zwei Betriebsratsmitgliedern auch fachlich versierte Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Sicherheitsbeauftragte nach § 22 SGB VII beteiligt. Die gemeinsame (virtuelle) Sitzung sollte dazu genutzt werden, um die Reihenfolge und Arbeitsteilung zu Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung, Betriebsanweisung, genereller Information und möglichen Maßnahmen (persönliche Schutzausrüstungen) zügig in Gang zu setzen.

Es ist empfehlenswert, dass der Betriebsrat zusammen mit dem Arbeitgeber entweder eine Art »Pandemieplan« erstellt, in dem allgemeine Vorgaben und Handlungsempfehlungen für den Einzelfall abstrakt festgelegt werden, oder eine Betriebsvereinbarung zu Infektionskrankheiten abschließt.

Der Interviewpartner:

Michael Bachner,

Dr. jur., Fachanwalt für Arbeitsrecht, schwegler Rechtsanwälte, Frankfurt/Main.

Mehr Infos zur Kanzlei und einen speziellen Corona-Newsletter gibt es hier. Mehr Informationen zu dem von Anwältinnen und Anwälten der Kanzlei in unserem Verlag veröffentlichten Kommentar zum BetrVG finden Sie unten und rechts.

 

 

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