Betriebsratssprechstunde

Die 144 wichtigsten Fragen an den Betriebsrat

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Quelle: sepy_Dollarphotoclub

Als Betriebsrat sind Sie die erste Anlaufstelle für Fragen der Beschäftigten im Betrieb. Da sind schnelle Antworten gefragt. Hier hilft Ihnen unser frisch aktualisierter Ratgeber »Arbeitnehmer fragen – Betriebsräte antworten« von Dr. Ewald Helml weiter. Anhand von Beispielsfällen gibt er Antworten auf die wichtigsten Fragen der Beschäftigten. Hier als Kostprobe: Ist die Fahrt zum Kunden Arbeitszeit?

 

Ist die Fahrt zum Kunden Arbeitszeit?

 

Fall:
Der Arbeitnehmer Eder arbeitet als Mechanikermeister bei der Müller OHG mit Sitz in Dresden. Seine Aufgabe ist die Reparatur von Baumaschinen aller Art im Großraum Dresden. Zumeist erhält er seine Reparaturaufträge für den jeweiligen Tag frühmorgens im Büro des Firmensitzes in Dresden. In dringenden Fällen fährt er mit dem Werkstattwagen direkt zum Kunden. Eder will wissen, ob an den Tagen, an welchen er von zu Hause direkt zum Kunden fährt, die Arbeitszeit beginnt, wenn er sich auf den Weg macht. Die OHG vertritt den Standpunkt, regulär hätte er von seinem Wohnsitz aus bis ins Büro eine Fahrtzeit von etwa 20 Minuten und die müsse auf dem Weg zum Kunden wohl abgezogen werden. Im Arbeitsvertrag findet sich keine Regelung zu dieser Frage.

Darum geht es:
Beginnt an diesen Tagen der Direktfahrten zum Kunden die Arbeitszeit mit Beginn der Fahrt zum Kunden?

Antwort

Regelmäßig liegt in derartigen Situationen vergütungspflichtige Arbeitszeit vor. Wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit an einer auswärtigen Arbeitsstelle zu erbringen hat, dann leistet er mit den Fahrten zum Kunden und zurück vergütungspflichtige Arbeit, unabhängig davon, ob Fahrtantritt und Fahrtende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen (BAG 25. 4. 2018 – 5 AZR 424/17).

Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle getroffen werden. Dies ist in der Praxis auch sinnvoll, da damit derartige Streitpunkte vermieden werden können. Während sich in den einschlägigen Tarifverträgen derartige Regelungen zumeist finden, kommen sie in Arbeitsverträgen eher seltener vor.

Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit der Zurücklegung des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und wieder zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber. Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle eindeutig zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil die Arbeitstätigkeit darauf gerichtet ist, verschiedene Kunden aufzusuchen, um dort Dienstleistungen zu erbringen.

Das Gleiche gilt für Fälle, in denen der Arbeitnehmer zu Kunden fährt, um bei diesen Geschäften für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Zu all diesen Tätigkeiten gehört notwendigerweise die jeweilige Anreise. Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters, dessen Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, verschiedene Kunden zu besuchen, gehören insgesamt zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten und sind deshalb vergütungspflichtige Arbeitszeit. Das gilt unabhängig davon, ob die Fahrten von Betriebssitz oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus angetreten werden bzw. an dem einen oder anderen Ort enden (BAG 18. 3. 2020 – 5 AZR 36/19).

Zusammenfassung:
Nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, auch die zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und sind insgesamt die Dienstleistung gemäß §§ 611, 612 BGB. Das ist auch grundsätzlich unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen, und dieser Grundsatz gilt erst recht – so wie hier – wenn der Arbeitnehmer bei An- und Abreise ein Fahrzeug mit den für die auswärtige Tätigkeit erforderlichen Werkzeugen, Ersatzteilen und dergleichen führen muss.

Praxishinweise:

Diese Grundsätze sind insbesondere auch im pflegerischen Bereich oder auch bei Fahrten von Krankendiensten und ähnlichen Tätigkeiten von Relevanz. Der früher vertretene Standpunkt, dass bei der Direktfahrt zum ersten Arbeitsort diejenige Wegstrecke herausgerechnet werden müsste, die (fiktiv) den Weg zum Arbeitgeber dargestellt hätte, ist durch diese Rechtsprechung aufgegeben worden.

Nicht gerade bei einem Mechanikermeister, aber bei niedriger vergüteten Tätigkeiten – also insbesondere Helfertätigkeiten, die knapp über dem Mindestlohn liegen –, ist auch auf Folgendes zu achten: Es darf für die in einem Kalendermonat insgesamt geleistete vergütungspflichte Arbeit der jeweilige gesetzliche Anspruch auf den Mindestlohn nicht unterschritten werden. In manchen Bereichen der sog. Nahmontage schließen tarifliche Regelungen eine – gesonderte – Vergütung der Fahrt von der Wohnung des Montagearbeiters zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten zurück zur Wohnung aus; der dafür erforderliche Zeitaufwand soll dann mit der tariflichen Nahauslösungszahlung und dem Entgelt für die Montagetätigkeit abgegolten sein. Allerdings darf dann bei dieser Gestaltung der Mindestlohn für die tatsächlichen Arbeitszeiten nicht unterschritten sein, weil Auslösezahlungen als Aufwendungsersatzzahlungen anzusehen und daher zumeist nicht mindestlohnrelevant sind.

Auslandsreisen zur Erbringung der Arbeitsleistung

Wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorübergehend zur Arbeit ins Ausland entsenden sollte, sind die für Hin- und Rückreise erforderlichen Zeiten ebenso wie bei Inlandsreisen wie Arbeit zu vergüten. Sofern der Arbeitgeber bei dieser arbeitsmäßig veranlassten Reise dem Arbeitnehmer die Wahl von Reisemittel und/oder Reiseverlauf zur eigenen Entscheidung überlassen sollte, dann ist der Arbeitnehmer im Rahmen des ihm Zumutbaren verpflichtet, das kostengünstigste Verkehrsmittel bzw. den kostengünstigsten Reiseverlauf zu wählen. Bei einer Flugreise etwa ist grundsätzlich die Reisezeit erforderlich, welche bei einem Direktflug in der Economy-Class anfällt, es sei denn, ein solcher wäre wegen besonderer Umstände dem Arbeitnehmer nicht zumutbar (BAG 17.10.2018 – 5 AZR 553/17).

Wenn – was in der Praxis der häufigere Fall sein wird – der Arbeitgeber Reisemittel und -verlauf vorgibt, dann genügt es, wenn der Arbeitnehmer vorträgt, welcher Zeitaufwand ihm im Einzelnen durch die Vorgaben entstanden ist; hieraus ergibt sich dann die Länge der Arbeitszeit. Wenn der Arbeitgeber dies anders sehen sollte, dann muss er Gegenteiliges nachweisen.

Das war ein Auszug aus Ewald Helml: Arbeitnehmer fragen – Betriebsräte antworten: Die 144 wichtigsten Fragen an den Betriebsrat, 7. Auflage 2021, Bund-Verlag.

© bund-verlag.de (ls)

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