Arbeitnehmerfreizügigkeit

EuGH zum Anrechnen von Vordienstzeiten im EU-Ausland

16. Oktober 2019
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Quelle: © Sven Hoppe / Foto Dollar Club

Regelungen zum Anrechnen einschlägiger Berufserfahrung dürfen EU-Bürger nicht davon abhalten, ihre Freizügigkeit auszuüben. Diese Gefahr besteht auch, wenn diese Regelungen zwar nicht diskriminierend sind, aber z. B. das Anrechnen gleichwertiger Tätigkeiten im EU-Ausland einschränken – so der EuGH.

Die bei der Universität Wien ab 2011 geltenden Regelungen sehen vor, dass sich das Gehalt von Dozenten (»Senior Lecturer/Postdoc«) nach Absolvierung von bestimmten Beschäftigungsdauern in bestimmten Einstufungen in mehreren Schritten erhöht. »Einschlägige Vordienstzeiten«, gleichgültig, ob sie an der Universität Wien, einer anderen österreichischen Universität oder einer ausländischen Universität zurückgelegt wurden, werden im Umfang von bis zu vier Jahren angerechnet.

Ungleichbehandlung

Das bedeutet aber eine Ungleichbehandlung zwischen einstufungsrelevanten Beschäftigungsjahren an der Universität Wien — die nämlich auch zählen, soweit sie über vier Jahre hinausgehen — und »einschlägigen Vordienstzeiten« — von denen nur  vier Jahre angerechnet werden.

Dozentin erst in München, dann in Wien

Frau Adelheid Krah, deutsche Historikerin, arbeitete zunächst fünf Jahre lang als Dozentin an der Universität München. Seit 2000 war sie als Dozentin an der Universität Wien tätig, zunächst mit befristeten Verträgen, ab 1. Oktober 2010 als »Senior Lecturer/Postdoc«, ab 1. März 2013 unbefristet. Bei ihrer auf den 1. Oktober 2010 rückbezogenen Gehaltseinstufung wurden vier Jahre Vordienstzeiten angerechnet.

Sie klagte auf Anrechnung aller Vordienstzeiten — also denen an der Universität Wien und denen an der Universität München — und verlor in erster Instanz. Die Sache liegt nun bei der zweiten Instanz, dem Oberlandesgericht Wien. Dieses legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vor, ob eine Regelung wie die betroffene mit dem Unionsrecht, insbesondere erstens mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit und zweitens mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit, vereinbar ist.

Keine verbotene Diskriminierung

Der EuGH führte aus: Die Regelung ist auf alle bei der Universität Wien beschäftigten Arbeitnehmer ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit unterschiedslos anwendbar. Eine unmittelbar auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung liegt also nicht vor. Zwar sind nicht nur offensichtliche, sondern auch verschleierte Ausländerdiskriminierungen verboten. Also sind auch Regelungen untersagt, die sich ihrem Wesen nach stärker auf Ausländer auswirken können — es sei denn, sie sind objektiv gerechtfertigt und stehen in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel.

Die betroffene Regelung ist aber auch keine verschleierte Ausländerdiskriminierung, denn nichts deutet darauf hin, dass Ausländer, die sich auf eine Senior Lecturer/Postdoc-Stelle bewerben, eher als Österreicher diese oder eine gleichwertige Tätigkeit an anderen Universitäten als der Universität Wien ausgeübt haben könnten.

Aber möglicherweise Behinderung der Freizügigkeit!

Allerdings besteht die Gefahr, dass die Regelung EU-Ausländer von einer Bewerbung an der Universität Wien und damit vom Ausüben ihrer Freizügigkeit abhält, wenn sie schon in ihrem Herkunftsmitgliedstaat eine Tätigkeit als Senior Lecturer/Postdoc oder eine gleichwertige Tätigkeit ausgeübt haben und diese bei ihrer Gehaltseinstufung nicht voll berücksichtigt wird.

Davon ist allerdings das Anrechnen von nicht gleichwertiger Berufserfahrung zu unterscheiden, die schlicht »nur nützlich« für die Tätigkeit als Senior Lecturer/Postdoc ist. Dass solche »nur nützliche« Berufserfahrung nur mit bis zu vier Jahren angerechnet wird, ist unter dem Freizügigkeitsaspekt nicht zu beanstanden — schließlich kann man diese »nur nützliche« Berufserfahrung gleichermaßen in Österreich wie auch im Ausland erlangen.

Der EuGH fordert daher nun das vorlegende Gericht auf festzustellen, ob Frau Krahs Tätigkeit an der Universität München gleichwertig mit derjenigen war, die sie als Senior Lecturer/Postdoc an der Universität Wien ausübt, oder dafür »nur nützlich« war.

Wie wird es wohl weitergehen?

Das Oberlandesgericht Wien wird nun im Lichte des EuGH-Urteils entscheiden. Prognosen sind nie sicher, wenn aber kein substantieller Unterschied zwischen der Tätigkeit in München und der in Wien besteht, dürfte Frau Krah gewinnen. Bloße Laufbahngesichtspunkte dürften dabei keine Rolle spielen — um dies mit Beispielen zu erläutern: Ob jemand Studienrat oder Oberstudienrat war, Leutnant oder Oberleutnant, Kellner oder Oberkellner, dürfte kein im Sinne des EuGH-Urteils wesentlicher Unterschied sein, selbst wenn die höhere Stufe mit zusätzlichen Aufgaben verbunden sein sollte. Also: Selbst wenn Frau Krah in München auf einer niedrigeren Hierarchiestufe gestanden haben sollte als später in Wien, dürfte dies nicht verhindern, dass ihre Tätigkeit in München als im Wesentlichen gleiche oder gleichwertige Tätigkeit betrachtet wird.

Autor:

Torsten Walter, LL.M. (Leicester), DGB Bundesvorstand

Quelle

EuGH (10.10.2019)
Aktenzeichen C-703/17
(Rechtssache Adelheid Krah gegen Universität Wien)
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