BAG: Kein doppelter Urlaubsanspruch bei Stellenwechsel
Darum geht es
Während eines Kündigungsschutzprozesses gehen Arbeitnehmer häufig schon ein neues Arbeitsverhältnis ein. War die Kündigung rechtswidrig, hat der Arbeitnehmer einen Urlaubsanspruch gegen seinen alten Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer sammelt nämlich auch weiter Urlaubstage an, obwohl er tatsächlich gar nicht arbeitet, wenn der Arbeitgeber unberechtigt gekündigt hat. Der Arbeitgeber soll nicht auch noch davon profitieren, dass er eine unwirksame Kündigung ausgesprochen hat. Das gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer bereits ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist. Arbeitnehmer verlangen dann von ihrem alten Arbeitgeber die Abgeltung der noch offenen Urlaubstage. Wenn der Arbeitnehmer im neuen Arbeitsverhältnis aber schon Urlaub genommen hat, würde er quasi für das jeweilige Kalenderjahr doppelt Urlaub bekommen. Geht das?
Nein sagt das Bundesarbeitsgericht. Eine explizite Regelung für diesen Fall gibt es im Gesetz nicht. Der allgemeine Rechtsgedanke der Vorschriften aus dem Kündigungsschutzgesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch verbieten aber eine Verdoppelung von Urlaubsansprüchen. Der Arbeitnehmer soll nicht benachteiligt aber eben auch nicht bevorzugt werden.
Das war der Fall
Die Arbeitnehmerin war seit 2014 als Fleischereifachverkäuferin tätig. Im Dezember 2019 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos. Im anschließenden Kündigungsschutzprozess stellte das Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Während des Prozesses arbeitete die Klägerin bei einer anderen Firma. Dort erhielt sie 25 Tage Urlaub. Das ursprüngliche Arbeitsverhältnis endete im Mai 2021. Die Arbeitnehmerin verlangte daraufhin Urlaubsabgeltung von ihrer alten Arbeitgeberin für den Zeitraum des Kündigungsschutzprozesses.
Richtig verrechnen
Laut BAG steht der Arbeitnehmerin kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu. Sie muss sich die Urlaubstage bei ihrem neuen Arbeitgeber anrechnen lassen. Der alte Arbeitgeber kann aber die alten und neuen Urlaubstage nicht einfach so verrechnen. Die Anrechnung darf immer nur im jeweiligen Kalenderjahr erfolgen. Das bedeutet, ein im neuen Arbeitsverhältnis gewährter Urlaub, der den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber seinem ursprünglichen Arbeitgeber für dasselbe Jahr übersteigt, vermindert nicht den Urlaubsanspruch gegenüber dem ursprünglichen Arbeitgeber im Folgejahr. Sonst wäre nicht mehr gewährleistet, dass der Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr tatsächlich seinen vierwöchigen Mindesturlaub erhält.
Praxishinweis
Die Anrechnung der Urlaubsansprüche setzt voraus, dass zwischen der Befreiung von der Arbeitsleistung beim alten Arbeitgeber und dem Erwerb von Urlaubsansprüchen im neuen Arbeitsverhältnis ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Dieser liegt in der Regel darin, dass der Arbeitnehmer aufgrund der Kündigung seiner Vollzeittätigkeit eine neue Tätigkeit eingehen muss.
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Quelle
Aktenzeichen 9 AZR 230/22