Diskriminierung

Gekündigt wegen Kirchenaustritt – Neue Fragen an den EuGH

02. Februar 2024
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Quelle: bluedesign_Dollarphotoclub

Durfte die Caritas eine Sozialpädagogin kündigen, weil diese aus der katholischen Kirche ausgetreten ist? Der Fall wirft Fragen zur Religionsfreiheit und zum Gleichbehandlungsgrundsatz auf, weil die Caritas mit den gleichen Aufgaben auch Mitarbeiter:innen anderer Konfessionen beschäftigt.

Der Fall

Der Arbeitgeber ist ein Verein, der zum Deutschen Caritas-Verband gehört und sich der Hilfe für Kinder, Jugendliche, Frauen und ihre Familien in besonderen Lebenslagen widmet. Zu seinen Aufgaben gehört die Beratung von schwangeren Frauen.

Die Arbeitnehmerin ist Sozialpädagogin und war bei dem Verein im Bistum Limburg seit dem Jahr 2006 in der Schwangerschaftsberatung beschäftigt. Von Juni 2013 bis zum 31. Mai 2019 befand sie sich in Elternzeit. Im Oktober 2013 erklärte sie vor einer kommunalen Behörde ihren Austritt aus der katholischen Kirche. Der Verein kündigte das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Elternzeit am 1. Juni 2019 außerordentlich ohne Einhaltung einer Frist, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2019. Zuvor hatte der Verein erfolglos versucht, die Mitarbeiterin Wiedereintritt in die katholische Kirche zu bewegen. Zum Zeitpunkt der Kündigung beschäftigte der Verein in der Schwangerschaftsberatung vier Arbeitnehmerinnen, die der katholischen Kirche und zwei Arbeitnehmerinnen, die der evangelischen Kirche angehörten.

Die Vorinstanzen haben beide Kündigungen für unwirksam gehalten (zuletzt Hessisches LAG, 1.3.2022 – 8 Sa 1092/20).

Das sagt das Bundesarbeitsgericht

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat das Verfahren ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um die Beantwortung von Fragen zur Auslegung des Unionsrechts ersucht.

Für die Entscheidung kommt es darauf an, ob ein der katholischen Kirche zugeordneter Arbeitgeber, der von den bei ihm tätigen Arbeitnehmern im Übrigen nicht verlangt, dass sie der katholischen Kirche angehören, das Arbeitsverhältnis allein aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft zur katholischen Kirche kündigen darf, wenn der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche austritt. Denn dies könnte darauf hindeuten, dass die Klägerin speziell wegen ihrer Konfession benachteiligt wurde.

Diese Fragen sind durch Auslegung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechte-Charta - GRCh) zu klären. Denn hier sind das Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 10 GRCh) und das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art 21 GRCh) berührt, ebenso die Gleichbehandungs-Rahmrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG).

Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat daher das Verfahren über die Revision des Beklagten ausgesetzt und den EuGH um die Beantwortung von Fragen zur Auslegung des Unionsrechts ersucht. Es bedarf der Klärung, ob die Ungleichbehandlung der Klägerin mit Arbeitnehmern, die niemals Mitglied der katholischen Kirche waren, vor dem Hintergrund des durch Art. 10 Abs. 1, Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf gewährleisteten Schutzes vor Diskriminierungen ua. wegen der Religion gerechtfertigt sein kann.

Hintergrund

Die hier an den EuGH gestellten Fragen sind auch deshalb noch offen, weil ein im Jahr 2022 eingeleitetes Vorabentscheidungsverfahren mit einem ähnlichen Gegenstand gegenstandslos wurde: Dort war eine Hebamme gekündigt worden, weil sie noch vor Begründung des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche ausgetreten war. In jenem Fall hatte die ebenfalls der Caritas angeschlossene Arbeitgeberin das Weiterbestehen des Arbeitsverhältnisses anerkannt, so dass das BAG seine Fragen an den EuGH zurückgezogen hat (sog. Hebammen-Fall, vgl. BAG Pressemitteilung Nr. 48/23 vom 19.12.2023).

© bund-verlag.de (ck)

Quelle

BAG (01.02.2024)
Aktenzeichen 2 AZR 196/22 (A)
BAG, Pressemitteilung 3/24 vom 1.2.2024
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