Arbeitsverhältnis

Kündigung nach Vorlage einer irreführenden Covid-19-Bescheinigung

29. September 2023
Corona-Impfung
Quelle: pixabay

Nicht nur ein gefälschter Nachweis über eine Covid-Schutzungimpfung, auch eine irreführende Bescheinigung aus dem Internet, die den Eindruck erweckt, der Arbeitnehmer sei impfunfähig, kann den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigen. Denn darin liegt ein Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht. Allerdings kann im Einzelfall eine Abmahnung genügen - so das Landesarbeitsgericht Hamm.

Darum geht es

Vom 16. März bis 31. Dezember 2022 galt bundesweit eine einrichtungsbezogene Impfpflicht in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen. Beschäftigte in Einrichtungen des Gesundheits- und Pflegebereichs mussten nachweisen, gegen COVID-19 geimpft, von einer Infektion genesen oder aus medizinischen Gründen nicht impffähig zu sein. Die entsprechenden Nachweise mussten Beschäftigte dieser Einrichtungen ihren Arbeitgebern bis zum 15. März 2022 vorlegen.

Die Arbeitnehmerin war in einem Pflegeheim als Pflegeassistentin beschäftigt und ist nicht gegen das Coronavirus SARS-Cov-2 geimpft.

Die Arbeitnehmerin erhielt über eine Webseiteeine so genannte "Bescheinigung über die vorläufige Impfunfähigkeit" sowie ein Anschreiben zur Vorlage beim Arbeitgeber. Beide Dokumente waren von einer Ärztin unterschrieben und konnten heruntergeladen und ausgedruckt werden. Eine individuelle Untersuchung oder ein Beratungsgespräch fanden nicht statt. Für die Bescheinigung musste die Pflegeassistentin nur eine formularmäßige Frage beantworten, ob sie ausschließen könnte, gegen einen Bestandteil der Covid-19-Impfstoffe allergisch zu sein.

Sie druckte beide Dokumente aus und legte sie ihrer Arbeitgeberin vor. Die Arbeitgeberin kündigte ihr wegen Vorlage einer unrichtigen Impfunfähigkeitsbescheinigung fristlos aus wichtigem Grund zum 8. März 2023.

Das Arbeitsgericht wies ihre Kündigungsschutzklage ab.

Das sagt das Gericht

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hob dieses Urteil in der Berufung auf und erklärte die fristlose Kündigung für unwirksam.

Zugunsten der Arbeitgeberin könne angenommen werden, so das LAG. dass das Verhalten der Pflegeassistentin einen Kündigungsgrund „an sich“ darstellt. Denn jeder Arbeitnehmer ist gemäß § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, auf die berechtigten Belange des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Eine Verletzung dieser vertraglichen Nebenpflicht kommt als Kündigungsgrund „an sich“ in Betracht (vgl Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 240/19, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 282/10).

Auch die Vorlage einer irreführenden ärztlicher Bescheinigungen stelle eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht dar.  Bescheinigungen, deren tatsächlicher Sinngehalt sich erst nach eingehendem Studium erschließt und die prima facie zu Missverständnissen geradezu einladen, sind geeignet, den Arbeitgeber in die Irre zu führen und ihn davon abzuhalten, von den ihm zustehenden vertraglichen und gesetzlichen Rechten Gebrauch zu machen.

Nach Treu und Glauben könne  vom Arbeitnehmer erwartet werden, solche Bescheinigungen jedenfalls nicht ohne zusätzliche Erläuterungen vorzulegen, will er sich nicht dem Vorwurf aussetzen, eine Irreführung des Arbeitgebers bewusst in Kauf zu nehmen. Dies gelte insbesondere für Nachweise im Sinne des § 20a Abs. 2 S. 1 IfSG.

Allerdings falle die Interessenabwägung, die bei jeder Kündigung vorzunehmen ist, zugunsten der Klägerin aus, so das LAG. Die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht habe auf einem steuerbarem Verhalten der Klägerin beruht. Zur Vermeidung künftiger Vertragsstörungen wäre der Ausspruch einer Abmahnung ausreichend gewesen. Denn die Klägerin habe nicht zu erkennen gegeben, künftig generell Vorschriften zum Schutz der Patienten und zu ihren eigenen Pflichten missachten zu wollen. Sie habe nicht versucht, die Herkunft der Bescheinigung zu vertuschen. Sie räumte vielmehr auf Befragen ein, wie es zur Vorlage des Dokuments kam.

Zudem habe sie der Arbeitgeberin nur das Informationsschreiben der Ärztin eingereicht, die "vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung" erst auf Nachfrage in einem Personalgespräch vorgelegt. Im Informationsschreiben sei klar ausgedrückt, dass die Empfehlung, die Klägerin möge sich vor der Impfung auf Allergien testen lassen, nicht auf objektiv bestehenden Anhaltspunkten für eine Impfunverträglichkeit beruhte, sondern auf der persönlichen Einschätzung der Klägerin, eine Allergie nicht ausschließen zu können.

Hinweis für die Praxis

In diesem Fall hat die zuständige Kammer des LAG im Einzelfall Gründe gefunden, die die Kündigung unverhältnismäßig machen - insbesondere dass die Klägerin von sich aus nur das online bestellte "Informationsschreiben" der Ärztin verwendet und offen zugegeben hat, auf welchem Wege sie beides bezogen hat. Deswegen hat das Gericht die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht nicht als hinreichend schwer eingestuft. Grundsätzlich gilt aber, dass man dem Arbeitgeber auch keine "irreführenden" medizinischen Zeugnisse vorlegen sollte, weil auch dies das Arbeitsverhältnis gefährden kann.

(c) bund-verlag.de (ck)

Quelle

LAG Hamm (30.03.2023)
Aktenzeichen 18 Sa 1048/22
Quelle: Justiz NRW online
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