Mitbestimmung

Mitbestimmung besteht auch in Krisenzeiten

08. März 2023
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Die Mitbestimmungsrechte des Personalrats sind auch in Krisenzeiten ohne Einschränkungen zu beachten, so das OVG Niedersachsen. Mit dieser Entscheidung stärkt das Gericht die Personalratsarbeit - auch über die Zeit der Pandemie hinaus.

Das war der Fall

Das Gesundheitsministerium Niedersachsen hatte 2020 zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie für eine größere Anzahl von Beschäftigten Schichtdienst und Rufbereitschaften für die Schichtleitungen eines gebildeten Lagestabs angeordnet und eingeteilt.

Der örtliche Personalrat (PR) hat daraufhin bei der Dienststelle sein Mitbestimmungsrecht bei Arbeitszeitregelungen gem. § 66 Absatz 1 Niedersächsisches Personalvertretungsgesetz (NPersVG) geltend gemacht, worauf die Dienststelle den PR zunächst mit einer Vorlage um Zustimmung zu den Maßnahmen gebeten hatte, die sie aber später – wegen eines angeblichen Missverständnisses zurückzog – und das Mitbestimmungsrecht des PR bestritt.

Der PR hat der Vorlage nicht zugestimmt, insbesondere wegen fehlender konkreter Informationen zum Personaleinsatz in der schwerpunktmäßig durch die Pandemie betroffenen Gesundheitsabteilung. Trotz wiederholter und mehrfacher Aufforderung des PR die fehlenden Informationen nachzuliefern, hat die Dienststelle diese Informationen dem PR nicht erteilt, sondern diese Maßnahmen der Schichteinteilung und der Rufbereitschaft ohne Zustimmung des Personalrats umgesetzt, ohne zunächst das Nichteinigungsverfahren gem. § 70 NPersVG einzuleiten oder von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, gem. § 70 NPersVG die Maßnahmen – wenn diese keinen Aufschub dulden − im Rahmen einer vorläufigen Regelung umzusetzen.

Nach Beanstandung des PR hat die Dienststelle dann das Mitbestimmungsrecht mit Hinweis auf die Corona-Pandemie grundsätzlich bestritten, insbesondere mit dem Hinweis, dass die Corona-Pandemie ein unvorhersehbares Jahrhundertereignis darstelle, das schnelles unbürokratisches Handeln und Eingreifen durch die zuständigen Behörden erfordere und PR-Rechte dabei im Zweifel zurückstehen müssten.

Die Übernahme von Anwaltskosten zur außergerichtlichen, einvernehmlichen Lösung, hat die Dienststelle mit Hinweis auf die fehlende Notwendigkeit mehrmals abgelehnt, obwohl der Personalratsbeschluss zur Beauftragung des Anwalts ausdrücklich die Einschränkung enthielt, dass der Anwalt zunächst gemeinsam mit dem Personalrat versuchen sollte, eine einvernehmliche, außergerichtliche Lösung anzustreben.

Damit blieb dem Personalrat – um seine Rechte durchzusetzen – nichts anderes übrig, als beim zuständigen Verwaltungsgericht das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren mit dem Ziel einzuleiten, die Verletzung der Mitbestimmungsrechte und die Pflicht der beteiligten Dienststelle festzustellen, den Personalrat von Rechtsanwaltskosten für das außergerichtliche und gerichtliche Verfahren freizustellen.

Das sagt das Gericht

Das Verwaltungsgericht hatte die Anträge des Personalrats abgelehnt: Zum einen sei das Mitbestimmungsverfahren noch gar nicht abgeschlossen gewesen, zum anderen sei die Übernahme der Anwaltskosten für das außergerichtliche Verfahren nicht notwendig gewesen.

Mitbestimmung bei Schichtdienst und Rufbereitschaft

Das OVG hat dagegen in seinem Beschluss das Mitbestimmungsrecht des Personalrats bejaht.

Die Besonderheit bei der zu entscheidenden Frage war dabei zum einen die Formulierung in § 66 Absatz 1 NPersVG, wonach die Mitbestimmung des PR bei den Regelungen zur Arbeitszeit »bei für die Dienststelle nicht vorhersehbaren, aufgrund besonderer Erfordernisse kurzfristig und unregelmäßig festzusetzende tägliche Arbeitszeit für bestimmte Gruppen von Beschäftigten ausgenommen bleibt.«

Zum anderen hatte der PR mit der Dienststelle eine Dienstvereinbarung nach § 78 NPersVG zur Einführung der flexiblen Arbeitszeit (Flexi-Dienstvereinbarung [Flexi-DV]) geschlossen, die neben der Regelung von Kern- und Rahmenarbeitszeiten, in denen die Beschäftigten ihre tägliche Arbeitszeit selbst bestimmen können, folgende Regelung enthielt: »In unvorhersehbaren Fällen kann die oder der Vorgesetzte … abweichende Anordnungen treffen, soweit und solange zwingende dienstliche Gründe dies erfordern. Dabei darf auch der Arbeitszeitrahmen überschritten werden.«

In Bezugnahme auf diese beiden Regelungen der Flexi-DV bestritt die Dienststelle die Mitbestimmung des PR generell bzw. mit Verweis auf die Regelung in der Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit (Flexi-DV).

Dem ist das OVG ausdrücklich nicht gefolgt, da sich die Dienststelle »nicht mehr erfolgreich auf den eine Mitbestimmung ausnahmsweise ausschließenden Tatbestand des § 66 Absatz 1 Nr. 1a NPersVG berufen könne, da die Einteilung und Anordnung von Schicht- und Wochenenddiensten jedenfalls nach Ablauf mehrere Monate vielmehr eine langfristig geltende und regelmäßige Arbeitszeitregelung darstelle und nicht mehr von „für die Dienststelle nicht vorhersehbare(n) Erfordernissen iSv § 66 Absatz 1 Nr. 1a NPersVG ausgegangen werden könne.«

Mit einer im Wesentlichen vergleichbaren Begründung hat das OVG auch die Umsetzung der Maßnahmen ohne Beteiligung des PR auf der Grundlage der Ausnahmeregelung in der Flexi-DV verneint, »da kein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass die Vereinbarungspartner der Flexi-DV den dort beschriebenen Ausnahmetatbestand derartig ausdehnen wollten, dass ein ordnungsgemäßes Mitbestimmungsverfahren nicht mehr möglich ist.«

Hinweis: Für die Frage des kollektiven Mitbestimmungsrechts ist es ohne Bedeutung, dass die Beschäftigten der Anordnung und Einteilung von Schichtdienst und Rufbereitschaft freiwillig Folge leisten.

Wie ist die Entscheidung in Bezug auf die Mitbestimmung zu werten?

Mit dieser Entscheidung hat das OVG ohne Einschränkung die Rechte der Personalvertretungen auch in Krisen- und Pandemiezeiten über den konkreten Fall hinaus bestätigt und deutlich gestärkt. Dies war nicht selbstverständlich und daher auch nicht unbedingt zu erwarten, wenn man feststellt, dass unter Bezugnahme auf die Pandemie erheblich gewichtigere Rechte und sogar Grundrechte, ob mit oder ohne Rechtsgrundlage, eingeschränkt wurden.

Freistellung von Anwaltskosten

Bzgl. der Übernahme von Anwaltskosten hat das Gericht eine differenzierte Auffassung vertreten und Entscheidung getroffen, die für die Praxis wenig hilfreich ist: Das OVG hat die Freistellung des PR von den Kosten der vorgerichtlichen Beauftragung des Anwalts abgelehnt.

Wie ist die Entscheidung in Bezug auf die Anwaltskosten zu werten?

Die Ablehnung der Kostenübernahme erfolgte ohne eigene inhaltliche Begründung wegen einer angeblich fehlenden Notwendigkeit und mit Verweis im Wesentlichen auf die Ausführungen in der erstinstanzlichen Begründung, die aber in keiner Weise überzeugen, sondern sehr kritisch zu bewerten sind.

Im gerichtlichen oder Beschlussverfahren muss die Dienststelle den Personalrat grundsätzlich von den Rechtsanwaltskosten für die Prozessvertretung freistellen, es sei denn, die gerichtliche Inanspruchnahme erfolgt mutwillig oder aus haltlosen Gründen, wofür es im entschiedenen Fall keinerlei Anhaltspunkte gab.

Außergerichtlich unterliegt die Übernahme oder Freistellung von Rechtsanwaltskosten (auch nach herrschender Meinung in der Rechtsprechung) restriktiveren Voraussetzungen: Die außergerichtliche Beauftragung muss notwendig im Sinne von § 37 NPersVG sein, d. h. es müssten vor der Beauftragung eines Rechtsanwaltes im außer- und vorgerichtlichen Verfahren alle Möglichkeiten und Einigungsversuche ohne Anwaltshinzuziehung ausgeschöpft werden, um mit der Dienststelle zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, die Grundsätze der Sparsamkeit und Verhältnismäßigkeit müssten ebenso berücksichtigt werden, wie zunächst die Inanspruchnahme der eigenen fachlichen und juristischen Kompetenz des PR und seiner Mitglieder oder die von juristischen Diensten der Gewerkschaften.

Diese Einschränkungen erscheinen nicht sachgerecht und angemessen, denn sie benachteiligen Personalräte schon deshalb, weil diese nicht einschätzen können, ob im Einzelfall diese Voraussetzungen erfüllt sind; so laufen die Personalräte Gefahr, dass sie nicht durch die Dienstelle von Anwaltskosten freigestellt werden, was ihre Wahlmöglichkeiten, einen qualifizierten Anwalt hinzuziehen zu können, erheblich einschränkt.

Zum anderen erscheint es deshalb nicht realitätsgerecht, da den Personalräten regelmäßig erheblich besser juristisch ausgebildete und geschulte Fachkräfte aus den Personalstellen der Dienststellen gegenüber stehen.

Der Verfasser der Anmerkung, der mit und für den an tragstellenden Personalrat den Beschluss des OVG erwirken konnte, war vor seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt, Vorsitzender des antragstellenden PR und weiß daher aus eigener praktischer Erfahrung, dass eine „Augenhöhe“ zwischen Personalrat und Dienstelle in der Regel nicht gegeben ist und der PR häufig bei Rechtsfragen und -streitigkeiten mit den Dienststellen dringend auf externe fachliche und juristische externe Unterstützung angewiesen ist.

Ebenso realitätsfern ist es anzunehmen, die Gewerkschaften könnten im Einzelfall juristische Unterstützung leisten, da diese oft nicht ausreichend qualifiziertes Personal vor Ort haben, um den PR wirksame Hilfe und Unterstützung zu leisten. Dies gilt im Besonderen für den vorliegenden Fall mit seinen komplexen und noch nicht geklärten Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Pandemie.

Praxistipp

Der Beschluss enthält für die Personalratsarbeit und die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Personalräten und Dienststellen Licht und Schatten zugleich. Er stärkt die Arbeit der Personalvertretungen indem er bestätigt und klarstellt, dass auch in Krisenzeiten – wie der Corona-Pandemie – die Personalratsrechte uneingeschränkt zu beachten sind. Diese Klarstellung hilft auch den Dienststellen, sollten sie der Auffassung zuneigen, mit Bezugnahme auf die Corona-Pandemie Personalratsrechten weniger Gewicht beimessen zu können.

Die restriktive Auslegung des § 37 NPersVG hinsichtlich der Notwendigkeit, Anwaltskosten für das vorgerichtliche Verfahren zu übernehmen, hingegen erscheint nicht nur realitätsfern, sondern hätte – sollte sich diese enge Auslegung durchsetzen − die fatale Folge, dass Personalräte schon frühzeitiger als vielleicht erforderlich mit Hilfe von Rechtsanwälten Gerichte in Anspruch nehmen müssten, um ihre Rechte durchzusetzen und zwar ohne zunächst mit Hilfe eines Rechtsanwaltes zu versuchen, im Sinne einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit eine einvernehmliche Lösung zu erreichen. Dies erschwert nicht nur die Arbeit der Personalräte, sondern kann auch nicht im Interesse der Dienststellen liegen, denn eine Auseinandersetzung vor den Gerichten, dürfte regelmäßig die zukünftige Zusammenarbeit eher erschweren, ganz abgesehen von den – im Verhältnis zu den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten − höheren Anwaltskosten im gerichtlichen Verfahren.

Letztlich werden dadurch Gerichte in Fällen bemüht und belastet, die mit juristischer Hilfe im Interesse aller Beteiligten auch außergerichtlich hätten gelöst werden können.

Der Verfasser dieser Anmerkung war als Rechtsanwalt des Personalrat an dem Beschlussverfahren beteiligt und weiß aus eigener Erfahrung als 10 jähriger Personalratsvorsitzender des beteiligten Ministeriums, welche atmosphärischen Störungen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit durch ein in der Regel monatelanges gerichtliches Streiten zukünftig hervorbringen kann.

Jochem Baltz, Rechtsanwalt, Hannover.

Quelle

OVG Niedersachsen (23.06.2022)
Aktenzeichen 18 LP 3/21
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