Sonderpreis Gute Arbeit - Deutscher Betriebsräte-Preis 2011

2011 SP Gute Arbeit

Projekt: Ist-Zeit-Erfassung für Briefzusteller
Bewerber/in: Deutsche Post AG, Briefniederlassung Nürnberg
Beschäftigtenzahl: ca. 4000
Branche: Postdienstleistungen
Gewerkschaften: ver.di 

Stichworte zum Projekt

  • Verschärfung der Bemessungswerte führt zur zunehmenden Leistungsverdichtung
  • Betriebsvereinbarung schafft Voraussetzung für alterns- und altersgerechtes Arbeiten sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie


Motiv

Bei der Briefniederlassung Nürnberg sind von 4000 Beschäftigten ca. 2400 Personen direkt in der Zustellung tätig. Nach der Privatisierung der Deutsche Post AG kam es zu einer fortlaufenden Leistungsverdichtung der Arbeitszeit für diese Zustellkräfte. Grund dafür waren Bemessungswerte und ein Rahmen dienstplan, die der Arbeitgeber trotz gegenteiliger Auffassung des GBR zunehmend zu Ungunsten der Briefzusteller verschärfte. Aus Sicht der Arbeitnehmer vertreter wurde damit die »Belastungsschraube« deutlich angedreht, ohne dass es zu einem Ausgleich für die Beschäftigten kam. Aus diesem Grund forderte der Betriebsrat den Arbeitgeber bei der Briefniederlassung Nürnberg auf, mit ihm eine neue Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit in der Zustellung zu
vereinbaren

Vorgehen

Ziel war ein neues Arbeitszeitmodell, die so genannte Ist-Zeit-Erfassung. Dies bedeutet, dass die tatsächlich geleistete Arbeitszeit der Zustellkräfte durch eine Zeiterfassung dokumentiert wird. Mit der Veränderung der Bemessungs werte hatte sich zudem auch die Situation verschlechtert für Mitarbeiter mit Einschränkungen, aber auch für Mütter, die wegen Kinderbetreuung nicht uneingeschränkt dem Arbeitgeber außerhalb des Rahmendienstplans zur Verfügung stehen konnten. Die Ist-Zeit-Erfassung sollte somit ein Korrektiv für die Überlastung auch dieser Mitarbeiter sein und gleichzeitig die Voraussetzung für alternsgerechtes Arbeiten und Arbeitszeitgerechtigkeit schaffen.
Da die Verhandlungen auf Betriebsebene zu keinem Ergebnis führten, wurde die Einigungsstelle angerufen. Der Arbeitgeber erklärte von Beginn der Verhandlungen an, dass er eine Betriebsvereinbarung mit einer generellen Arbeitszeit in der Zustellung ablehnt. Im Rahmen bzw. begleitend zum Einigungsstellenverfahren versuchte die Arbeitgeberseite den Druck auf den Betriebsrat durch verschiedene Maßnahmen zu erhöhen. So wurde u.a. die Überwachung der Zustellkräfte durch ein speziell entwickeltes Handin den Raum gestellt.
Mitarbeiter wurden angeschrieben und aufgefordert zu erklären, ob sie für eine generelle Ist-Zeit-Erfassung, für eine freiwillige Ist-Zeit-Erfassung oder für die bis zur Aufnahme der Verhandlungen geltende Arbeitszeitregelung sind. Obwohl es bei dieser Mitarbeiterbefragung zu keiner Mehrheit für die Forderung
des Betriebsrats kam, blieb das Gremium konsequent bei seiner Verhandlungsposition.
Insgesamt benötigte das Einigungsverfahren sechs Runden, bevor sich beide Seiten im April 2009 auf eine Betriebsvereinbarung einigen konnten.

Ergebnisse

Der Betriebsrat konnte schließlich seine Forderung durchsetzen, dass die generelle Ist-Zeit-Erfassung als Regelarbeitszeit in der Zustellung festgelegt wird – damit ist die Nürnberger Briefniederlassung bisher bayernweit die einzige, die diese Regelung erzielt hat. Notwendig waren dafür nicht nur langer Atem, Durchhaltevermögen und die regelmäßige Information der Beschäftigten, sondern auch die enge Verzahnung mit ver.di und die Einbeziehung eines Rechtsbeistands.
Um die Akzeptanz der neuen Regelung in der Belegschaft zu überprüfen, wurde 2010 eine eigene anonyme Befragung bei allen Zustellkräften per Briefwahl durchgeführt. In dieser Abstimmung votierte die Mehrheit der Beschäftig
ten für das Vorgehen des Betriebsrats.
Mit der Vereinbarung konnte der Betriebsrat wesentlich dazu beitragen, dass die Rahmenbedingungen für alterns- und altersgerechtes Arbeiten sowie für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie deutlich verbessert werden konnten.