3 Arbeit und Gesundheit: Aktuelle Trends 2019

3.1 Arbeitsunfälle

Aufgrund des technologischen und wirtschaftssektoralen Strukturwandels sowie eines effektiver gewordenen Arbeitsschutzes ist das Risiko, bei der Arbeit einen Unfall zu erleiden, während der letzten Jahrzehnte deutlich zurückgegangen. Allein seit 1991 hat sich die Zahl der meldepflichtigen (d. h. zu mehr als dreitägiger Arbeitsunfähigkeit führenden) Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter in Deutschland mehr als halbiert. Bei den schweren und tödlichen Unfällen war diese Abwärtstendenz sogar noch stärker ausgeprägt (Abb. 56). Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass sich im Rahmen eines insgesamt rückläufigen Unfallgeschehens der Schwerpunkt zu den leichteren, nicht meldepflichtigen Arbeitsunfällen hin verschoben hat.

Wie die Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit zeigt, sind auch auf einem bereits niedrigen Unfallniveau durchaus noch markante Verbesserungen möglich. So ist seit 2008, als die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) mit dem Ziel einer spürbaren Senkung der Unfallhäufigkeit antrat (und im Übrigen auch die erste Ausgabe des Jahrbuchs »Gute Arbeit« erschien), eine Reduktion der so genannten »1000-Mann-Quote« (gewerbliche Wirtschaft und öffentlicher Dienst, ohne Landwirtschaft) um ein gutes Fünftel zu verzeichnen. Den stärksten Rückgang findet man im Bereich der Unfallversicherung der öffentlichen Hand, wobei es sich aber größtenteils um einen rein statistischen Effekt (Umstellungen der Erfassungsmethodik im Jahr 2010 sowie Übergang der Unfallkasse Post-Telekom zur BG Verkehr in 2016) handeln dürfte. Hiervon abgesehen fiel die Entwicklung im Nahrungsmittel- und Gastgewerbe (-31,9%), im Bereich Holz/Metall (-26,6%) sowie überraschenderweise im seit jeher relativ wenig unfallträchtigen Bereich Verwaltung/Bahnen/Glas/Keramik (-27,4) deutlich am günstigsten aus. Einen (leichten) mittelfristigen Anstieg gab es lediglich in zwei Branchengruppen, nämlich Gesundheitsdienst/Wohlfahrtspflege und Verkehr. In letzterem Falle muss allerdings wiederum die Fusion der zuständigen BG mit der (besonders hohe Unfallzahlen aufweisenden) Unfallkasse Post-Telekom als maßgeblicher Faktor in Rechnung gestellt werden (Abb. 57).

Obwohl sich das Unfallrisiko auch im Baugewerbe günstig entwickelt hat, weist dieses (nach dem Agrarsektor, für den bei Redaktionsschluss aber keine Daten aus 2017 vorlagen) unter allen Wirtschaftszweigen immer noch die höchste Zahl an meldepflichtigen Arbeitsunfällen je 1.000 Vollarbeiter auf; diese ist hier (mit zuletzt 53,6) gut zweieinhalb Mal so hoch wie im Durchschnitt der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). In der Hierarchie unfallträchtiger Sektoren rangiert danach Verkehrswirtschaft/Post-Logistik/Telekommunikation mit einer rund doppelt so hohen Unfallrate wie der DGUV-Durchschnitt vor Holz/Metall (63% ü. D.), gefolgt von Nahrungsmittel/Gastgewerbe (58% ü. D.). Die niedrigsten Unfallziffern finden sich wie auch schon in den Vorjahren in den Bereichen Gesundheitsdienst/Wohlfahrtspflege, Öffentliche Hand und Verwaltung/Bahnen/Glas/Keramik, die vom DGUV-Mittelwert um 26%, 33% und 43% nach unten abweichen (Abb. 57).

Die Zahl der neuen Arbeitsunfallrenten je 10.000 Vollarbeiter – die als Indikator für die Häufigkeit schwerer nichttödlicher Arbeitsunfälle betrachtet werden kann – sank DGUV-weit zwischen 2008 und 2017 sogar noch stärker (-28,9%) als die Rate meldepflichtiger Unfälle. Die stärksten Rückgänge in diesem Zeitraum gab es in den Bereichen Handel/Warenlogistik (-40,9%), Rohstoffe/Chemie (-39,5%) und Holz/Metall (-33,9%). Gesundheitsdienst/Wohlfahrtspflege und Verwaltung/Bahnen/Glas/Keramik weisen im Branchenvergleich die geringsten Reduktionsraten auf. Diese sind – mit -20,7% bzw. -16,2% – dennoch insofern beachtlich, als es sich hier um die Wirtschaftsbereiche mit dem niedrigsten Ausgangsniveau unfallbedingter Invalidität handelt. Spitzenreiter diesbezüglich sind bis heute das Baugewerbe und die Verkehrswirtschaft (inklusive Post-Logistik und Telekommunikation), wo die Zahl der neuen Arbeitsunfallrenten je 10.000 Vollarbeiter gegenüber dem DGUV-Durchschnitt um das 3,6- bzw. 2,5-fache erhöht ist (Abb. 58).

Infolge des Verschwindens vieler gefährlicher, ungeschützter Arbeitstätigkeiten sind tödliche Arbeitsunfälle hierzulande inzwischen äußerst seltene Ereignisse. Statistisch verliert im DGUV-Durchschnitt übers Jahr nur noch einer von 100.000 »Vollarbeitern« durch einen Arbeitsunfall sein Leben. Obwohl sie 2008 bereits auf einem sehr niedrigen Level angelangt war, sank die Rate tödlicher Arbeitsunfälle in den nachfolgenden Jahren bis 2017 DGUV-weit noch einmal um zirka ein Drittel. Unter den Branchengruppen, die besonders starke Rückgänge zu verzeichnen haben, befinden sich sowohl solche mit immer schon geringen (Gesundheitsdienst/Wohlfahrtspflege: -50,0%) als auch solche mit traditionell stark überdurchschnittlichen Todesraten (Verkehr: -42,3%).

Mit Abstand am höchsten ist die Rate tödlicher Unfälle in der Landwirtschaft (10,82 Fälle je 100.000 Vollarbeiter in 2016, aktuellere Zahlen noch nicht verfügbar), gefolgt von Bau (4,55 im Jahr 2017) und Verkehr/Post-Logistik/Telekommunikation (4,51). Dagegen liegt das Risiko, bei der Arbeit unfallbedingt zu Tode zu kommen, im Gesundheits- und Sozialwesen nahe bei null (Abb. 59). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass starke prozentuale Schwankungen bei generell sehr niedrigen Häufigkeitswerten, wie man sie im Falle tödlicher Arbeitsunfälle vorfindet, sehr leicht zustande kommen und deshalb nicht überinterpretiert werden dürfen.

Nach den zahlreichen organisatorischen Fusionen der letzten Jahre bilden die Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Unfallversicherungsträger die Branchenstruktur der Wirtschaft nur noch schwach ab. Entsprechend gibt die DGUV-Unfallstatistik inzwischen auch keinen allzu präzisen Aufschluss mehr über branchenbezogene Differenzierungen des Arbeitsunfallgeschehens. Hier hilft der »Bericht Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit« der Bundesregierung (SuGA) zumindest teilweise weiter. Darin enthalten ist eine tiefer gegliederte Unfallstatistik, aus der z. B. hervorgeht, dass der Wirtschaftsabschnitt Wasserversorgung/Entsorgung/Umweltsanierung die nach dem Baugewerbe höchste Unfallrate innerhalb der gewerblichen Wirtschaft aufweist. Interessant ist u. a. auch der Hinweis auf die relativ hohe Unfallrate im Bereich Kunst/Unterhaltung/Erholung, die in dem niedrigen Gesamtwert der zuständigen Verwaltungs-BG, wie ihn die offizielle DGUV-Statistik berichtet, gleichsam »untergeht«. Auch die erwähnte SuGA-Statistik bleibt aber insofern unbefriedigend, als sie auf eine Differenzierung des – in punkto Unfallhäufigkeit höchst heterogenen – verarbeitenden Gewerbes vollständig verzichtet.