2.3 Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Störungen 2019

Alle Krankenkassen verzeichnen seit vielen Jahren einen starken und stetigen Anstieg der psychischen Störungen bei den Krankschreibungen. Auch in den Jahren, in denen der Krankenstand insgesamt rückläufig war, hat die Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Störungen weiter zugenommen. Bei den DAK-Mitgliedern beispielsweise hat sich die Zahl der Krankheitstage infolge psychischer Störungen seit 1997 um das 3,3-fache erhöht, die Zahl der Fälle stieg um das 2,8-fache (Abb. 45).

Der Bericht Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit der Bundesregierung (SuGA) fasst Daten mehrerer Krankenkassen zusammen. Danach lagen 2016 die psychischen Störungen mit 12,6% an dritter Stelle der Krankheitsursachen, hinter Muskel-Skelett-Erkrankungen (24,4%) und Erkrankungen des Atmungssystems (13,6%). 2007 hatte der Anteil der psychischen Störungen noch 8,6% betragen und war seitdem kontinuierlich angestiegen. Die anderen genannten Diagnosegruppen wiesen im 10-Jahres-Trend konstante oder leicht rückläufige Anteile auf (Abb. 46).

Bei einzelnen Kassenarten kann der Anteil der psychischen Störungen am Krankenstand jedoch auch deutlich höher liegen, wie z. B. die DAK-Daten mit einem Anteil von 16,7% für die psychischen Störungen zeigen (Abb. 47).

Der langjährige Anstieg der Krankheitstage aufgrund von psychischen Störungen hat viele Gründe, z. B. das bessere Versorgungsangebot, mehr Sensibilität für das Thema und eine teilweise Entstigmatisierung psychischer Störungen. Aber auch die hohen psychischen Belastungen der Beschäftigten schlagen sich vermutlich zum Teil hier nieder.

Im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten einige Krankenkassen, darunter auch die DAK – zum Teil erstmals seit Jahren – einen leichten Rückgang des Anteils psychischer Störungen an allen AU-Tagen. Anders dagegen war es z. B. bei den Betriebskrankenkassen (BKK), hier nahm der Anteil der psychischen Störungen weiter zu. Auch bei den Versicherten der Techniker Krankenkasse haben 2017 die Krankschreibungen wegen psychischer Störungen zugenommen.

Krankschreibungen wegen psychischer Störungen dauern – mit Ausnahme von Tumorerkrankungen – im Schnitt deutlich länger als Krankschreibungen wegen anderer Diagnosen. Im Jahr 2017 waren es bei den DAK-Mitgliedern 35,5 Tage pro Fall, mehr als fünfmal so viel wie bei den Atmungserkrankungen und fast doppelt so viel wie bei den Muskelskeletterkrankungen (Abb. 48).

Abb. 48: Durchschnittliche Falldauer einer Krankschreibung

 

Datenquelle: DAK-Gesundheitsreport 2009-2018

in Tagen, DAK-Mitglieder

2017

2016

2015

2014

2013

2012

2011

2010

2009

2008

Neubildungen

37,3

39,4

38,8

38,4

35,7

34,1

31,6

31,7

31,7

33,6

Psychische Erkrankungen

35,5

38,1

35,5

35,1

34,2

33,2

30,5

28,9

28,0

28,1

Krankheiten des Kreislaufsystems

20,9

22,5

21,2

20,9

20,8

19,9

19,1

18,8

18,5

18,2

Verletzungen und Vergiftungen

20,2

20,9

19,3

19,0

19,1

19,2

18,1

17,8

17,4

17,1

Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes

18,5

19,5

18,3

18,0

18,2

18,7

17,5

17,2

17,1

16,9

Krankheiten des Nervensystems, des Auges und des Ohres

10,8

11,2

10,8

10,5

10,9

11,1

10,5

10,5

10,2

10,1

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde

7,7

7,8

7,4

7,5

8,5

9,8

9,5

9,2

9,0

8,5

Krankheiten des Atmungssystems

6,5

6,5

6,5

6,3

6,6

6,6

6,4

6,3

6,4

6,3

Krankheiten des Verdauungssystems

6,2

6,4

6,1

6,1

6,2

6,2

6,0

5,9

5,8

5,8

Infektiöse und parasitäre Krankheiten

5,6

5,4

5,4

5,3

5,6

5,7

5,5

5,3

5,7

5,6

Welche Einzeldiagnosen sich in welchem Umfang hinter den psychischen Erkrankungen (ICD 10 F00-F99) verbergen, zeigt Abb. 49. Die weitaus meisten Fehltage innerhalb der Gruppe der psychischen Störungen werden demnach durch Depressionen verursacht.

Betrachtet man die Entwicklung der Krankschreibungen aufgrund psychischer Störungen im Lebenslauf nach Geschlecht, so zeigt sich ein nahezu gleicher Verlauf der AU-Fälle und AU-Tage bei Frauen und Männern, wobei unter den DAK-Mitgliedern die Frauen einen höheren Krankenstand aufweisen als die Männer (Abb. 50).

Untersuchungen zeigen, dass gerade bei psychischen Erkrankungen das Phänomen des »Präsentismus« besonders weit verbreitet ist. Darunter versteht man Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz Krankheit. Hier spielt z. B. eine Rolle, dass die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen weiter wirksam ist. Längst nicht alle diagnostizierten psychischen Erkrankungen führen auch zu einer Krankschreibung. Im DAK-Gesundheitsreport 2013, der sich vertiefend mit diesem Thema beschäftigt hat, haben 31,7% der seinerzeit von der DAK befragten Versicherten angegeben, in den letzten 12 Monaten einmal oder mehrmals trotz psychischer Beschwerden zur Arbeit gegangen zu sein. Es leiden also mehr Beschäftigte an psychischen Störungen, als sich in der AU-Statistik niederschlägt.

Bei der Befragung zum DGB-Index Gute Arbeit 2017 wurden mehr als 4.800 abhängig Beschäftigte gefragt »An wie vielen Tagen ist es bei Ihnen in den letzten 12 Monaten vorgekommen, dass Sie gearbeitet haben, obwohl Sie sich richtig krank gefühlt haben?«. Die Ergebnisse zeigen, dass Präsentismus in Deutschland weit verbreitet ist. Insgesamt gaben 67% der Befragten an, dass sie im vorangegangenen Jahr auch zur Arbeit gegangen sind, »obwohl sie sich richtig krank gefühlt haben« (Abb. 51). Lediglich ein Drittel hat dies nicht getan.

Eine besonders auffällige Erscheinung im Zusammenhang von psychischen Belastungen und Krankschreibungen ist die Zunahme von Burnout-Diagnosen in den Jahren 2006 bis 2012. Darin spiegelt sich jedoch auch der durch Medienberichte häufigere Gebrauch der Zusatzdiagnose Z73 durch die Ärzte wider, daher ist die Interpretation dieses Trends schwierig (Abb. 52).