4. Infrastrukturdaten 2019

4.1 Betriebliche Gesundheitsförderung

Seit fast drei Jahrzehnten bildet die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) neben dem verpflichtenden gesetzlichen Arbeitsschutz die zweite »Säule« arbeitsweltbezogener Prävention. Rechtlich verankert ist die BGF im Sozialgesetzbuch (SGB) V als (Pflicht-)Leistung der Krankenkassen, die nach § 20b Abs. 1 folgende Komponenten umfasst: Erhebung der gesundheitlichen Situation (einschließlich ihrer Risiken und Potenziale) im Betrieb, Entwicklung von Vorschlägen zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation und zur Stärkung entsprechender Ressourcen und Fähigkeiten sowie Unterstützung bei der Umsetzung solcher Vorschläge – jeweils unter Beteiligung der versicherten Beschäftigten, der Betriebsverantwortlichen und der betrieblichen Arbeitsschutzexperten.

Die Aufwendungen der Krankenkassen für BGF-Leistungen sind langfristig durch eine starke Expansion gekennzeichnet. Im Zehnjahreszeitraum 2007-2017 stiegen sie um fast das Fünffache von 32,2 auf 158,1 Mio. Euro. Das Ausgabenwachstum erhielt 2015, als durch das Präventionsgesetz der Finanzrahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für BGF-Leistungen deutlich ausgeweitet wurde, noch einmal einen enormen Schub, innerhalb eines einzigen Jahres verdoppelten sich die entsprechend aufgewandten Mittel auf knapp 147 Mio. Euro. Auch danach setzte sich das Ausgabenwachstum – wenngleich deutlich moderater – fort (Abb. 64).

Informationen über die Verbreitung und die Struktur der mit diesem Geld finanzierten Maßnahmen lassen sich den jährlich veröffentlichten GKV-Präventionsberichten entnehmen. Die Zahl der von den Kassen dokumentierten BGF-Aktivitäten ist hiernach von 2.422 im Jahr 2006 auf 6.438 im Jahr 2016 (neuere Daten lagen zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrages noch nicht vor) gestiegen. Diese Aktivitäten erstreckten sich zuletzt auf insgesamt 13.132 Betriebe, was dem 3,7-fachen des Niveaus von 2006 entspricht. In fast gleichem Maße (um das 3,5-fache) hat auch die Zahl der dabei erreichten Beschäftigten zugenommen, sie betrug 2016 nach Schätzung der an der Erhebung beteiligten Krankenkassen gut 1,4 Mio.

An der traditionell besonders starken Verankerung der BGF im Produktionsbereich hat sich bis heute wenig geändert. Trotz leichter Anteilsverluste war auch 2016 die relative Mehrheit der BGF-Aktivitäten (36%) in Betrieben des verarbeitenden Gewerbes angesiedelt. Längerfristig an Relevanz gewonnen hat vor allem das Gesundheits- und Sozialwesen (15% der BGF-Aktivitäten; plus fünf Prozentpunkte seit 2006). Anstiege zu verzeichnen hatten daneben noch die öffentliche Verwaltung (11%; plus drei Prozentpunkte) und der mit 16% (plus vier Prozentpunkte) zu Buche schlagende Bereich der wirtschaftlichen und sonstigen privaten und öffentlichen Dienstleistungen. Dennoch spielt letzterer innerhalb der BGF bei weitem nicht die Rolle, die seinem enormen gesamtwirtschaftlichen Gewicht entspräche (Abb. 65).

Die immer schon vorhandene Konzentration der BGF-Aktivitäten auf Betriebe mittlerer Größe (50-499 Beschäftigte) hat langfristig betrachtet noch deutlich zugenommen. Ihr Anteil an allen BGF-Aktivitäten stieg zwischen 2006 und 2016 von 48% auf 59%. Eine stark rückläufige Entwicklung gab es dagegen bei den Kleinbetriebsprojekten, die 2016 nur noch 20% des BGF-Geschehens ausmachten (minus 14 Prozentpunkte seit 2006). Großbetriebe (500 und mehr Beschäftigte) waren zuletzt mit einem Anteil von 21% sogar wieder etwas stärker in der BGF vertreten als Kleinbetriebe (Abb. 66). Damit sind sie hier (aus durchaus nachvollziehbaren organisatorischen und angebotslogistischen Gründen) deutlich überrepräsentiert.

Um in die betrieblichen Abläufe integriert werden und substantielle Wirkungen entfalten zu können, muss BGF längerfristig angelegt sein. Diesbezüglich ist seit einiger Zeit eine deutlich positive Entwicklung zu verzeichnen, die durchschnittliche Dauer der berichteten BGF-Aktivitäten nahm von 19 Monaten (2006) auf 27 Monate (2016) zu. Anders als sporadische Einzelmaßnahmen wie etwa die Durchführung eines »Gesundheitstags« oder eines Rückenschulkurses erfordern solche Projekte eine von den wichtigsten betrieblichen Akteuren getragene Planungs- und Steuerungsstruktur. Entsprechende Gremien (Arbeitskreis Gesundheit o. ä.) waren zwar in der Mehrzahl der 2016 dokumentierten BGF-Fälle (57%) vorhanden, jedoch scheint ihre Verbreitung im Laufe der Jahre zurückgegangen zu sein (2006: 68%).

Im Durchschnitt sind vier Akteurgruppen in diesen Gremien vertreten, darunter ganz überwiegend die Betriebsleitung und die engagierte Krankenkasse, in gut zwei Dritteln der Fälle – mehr noch als im Jahr 2006 (59%) – auch der Betriebs-/Personalrat. Die Anteile der betrieblichen BGF-Steuerkreise mit Sicherheitsfachkraft- und Betriebsarztbeteiligung lagen (seit 2006 nahezu unverändert) bei 49% bzw. 34%. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Maßgabe, wonach die betrieblichen Arbeitsschutzexperten in die Durchführung der BGF einzubeziehen sind, mag dies wenig erscheinen; angesichts der Tatsache, dass die häufig extern bestellten Sicherheitsfachkräfte und Betriebsärzte in der Regel nur geringe zeitliche Kapazitäten für derlei Zusatzaktivitäten haben, sind die genannten Zahlen aber nicht unbedingt negativ zu werten.

Sowohl im SGB V als auch im »GKV-Leitfaden Prävention« ist die gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen – also eine verhältnispräventive Ausrichtung – als unverzichtbares Merkmal von BGF bestimmt. Inwieweit das reale Leistungsgeschehen diesem Postulat entspricht, lässt sich anhand der GKV-Präventionsberichte zumindest grob abschätzen. Hiernach wiesen 54% der für 2016 dokumentierten BGF-Aktivitäten einen – wie auch immer bemessenen – Anteil an verhältnispräventiven Maßnahmen auf, entsprechend blieben 46% – in Betrieben mit weniger als 100 Mitarbeitern sogar über die Hälfte – auf Angebote zur Beeinflussung des individuellen Gesundheitsverhaltens (Bewegungsschulungen, Stressbewältigungstrainings etc.) beschränkt. Damit haben sich die Gewichte im betrachteten Zehnjahreszeitraum zugunsten letzterer verschoben (Abb. 67).

Eine mögliche Begründung für die doch recht hohe Quote rein verhaltenspräventiver Maßnahmen könnte lauten, dass viele Betriebe über einfache, niederschwellige Angebote für die BGF interessiert und an komplexere, auch verhältnispräventiv orientierte Projekte herangeführt werden müssen. In wie vielen Fällen eine solche »Anbahnung« tatsächlich gelingt (oder es nicht doch beim »ersten Schritt« bleibt), geht aus den vorliegenden Daten allerdings nicht hervor.

Als Verfahren zur unmittelbaren Mitarbeiterbeteiligung an der Analyse und Verbesserung der Arbeitsbedingungen bilden Gesundheitszirkel seit langem ein Kernelement des BGF-Instrumentariums der Krankenkassen. Es ist daher einigermaßen erstaunlich, dass Gesundheitszirkel bei nie mehr als einem Viertel (und selbst im großbetrieblichen Bereich bei maximal 30%) der dokumentierten BGF-Aktivitäten zum Einsatz kamen. Immerhin ist der zwischenzeitlich schon einmal bis auf 18% gefallene Anteil der BGF-Projekte mit Gesundheitszirkeln zuletzt wieder bei 24% angelangt. Ein positiveres Bild bietet sich im Hinblick auf die Gesamtzahl der durchgeführten Gesundheitszirkel, die 2006-2016 um 85% zugenommen hat (Abb. 68).