4.2 Personalstand und Tätigkeit der Aufsichtsbehörden und -dienste

Häufige Änderungen von Rechtsvorschriften, Umsetzung von GDA-Arbeitsprogrammen, vielfältige Aufgaben außerhalb des Arbeitsschutzes, eine sich zum Teil rasant wandelnde Arbeitswelt – die Anforderungen an die Aufsichtsbehörden der Länder sind tendenziell gewachsen. Angesichts dessen wäre eine Stärkung ihrer personellen Kapazitäten in den vergangenen Jahren nur allzu logisch gewesen. Doch das Gegenteil war der Fall: Unter dem Diktat »strenger Haushaltsdisziplin« wurde zwischen 2006 und 2016 (neuere Daten lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor) die Zahl der staatlichen Aufsichtsbeamten bundesweit von 3.521 auf 3.185 verringert (Abb. 69). Ein Rückgang um rund 10% innerhalb von zehn Jahren mag auf den ersten Blick wenig dramatisch wirken, zumal sich seit 2013 eine leichte Verbesserung der Situation eingestellt zu haben scheint. Eine genauere Betrachtung der vorliegenden Zahlen zeigt jedoch, dass zur Entwarnung kein Anlass besteht.

Abb. 69: Zahl der Aufsichtsbeamten in den
Arbeitsschutzbehörden der Länder 2006–2016

 

Quellen: SuGA, versch. Ausgaben; eig. Berechnungen

 

2006

2013

2014

2015

2016

2006–13

2013–16

2006–16

Baden-Württemberg

581

577

512

534

544

-0,7%

-5,7%

-6,4%

Bayern

454

356

325

374

360

-21,6%

+1,1%

-20,7%

Berlin

123

96

105

98

102

-22,0%

+6,3%

-17,1%

Brandenburg

161

111

92

88

78

-31,1%

-29,7%

-51,6%

Bremen

41

37

34

33

32

-9,8%

-13,5%

-22,0%

Hamburg

79

61

66

63

61

-22,8%

0,0%

-22,8%

Hessen

156

150

243

237

234

-3,8%

+56,0%

+50,0%

Mecklenb.-Vorp.

124

83

87

86

84

-33,1%

+1,2%

-32,3%

Niedersachsen

418

450

732

630

638

+7,7%

+41,8%

+52,6%

Nordrhein-Westf.

633

416

466

495

507

-34,3%

+21,9%

-19,1%

Rheinland-Pfalz

188

184

169

169

172

-2,1%

-6,5%

-8,5%

Saarland

27

24

25

29

29

-11,1%

+20,8%

+7,4%

Sachsen

194

151

144

126

124

-22,2%

-17,9%

-36,1%

Sachsen-Anhalt

171

98

104

98

93

-42,7%

-5,1%

-45,6%

Schleswig-Holst.

46

31

52

52

54

-32,6%

+74,2%

+17,4%

Thüringen

124

110

73

73

71

-11,3%

-35,5%

-42,7%

Insgesamt

3521

2935

3229

3186

3185

-16,6%

+8,5%

-9,5%

Zunächst einmal fällt auf, dass der im Bericht »Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit« (SuGA) für den Zeitraum 2013–2016 ausgewiesene Zuwachs an Aufsichtsbeamten rechnerisch ausschließlich der Entwicklung in zwei Ländern geschuldet ist, nämlich Niedersachsen und Hessen. In ersterem war die Zahl der Aufsichtsbeamten von einem Jahr aufs nächste (2013–14) um sage und schreibe 282 – also um fast zwei Drittel – angestiegen. Trotz des nachfolgenden Rückgangs lag das Niveau zuletzt immer noch um rund 42% über dem des Jahres 2013. Dass es sich hierbei eigentlich nur um einen erfassungsbedingten Scheineffekt und nicht um eine reale Steigerung handeln kann, zeigt ein Vergleich der SuGA-Zahlen mit den Angaben in den Jahresberichten der niedersächsischen Arbeitsschutzverwaltung: Hier ist für 2016 von lediglich 443 ausgebildeten Aufsichtsbeamten die Rede; die im SuGA genannte sehr viel höhere Zahl (638) ist durch nichts anderes zu erklären als das Hinzuzählen weiterer Beschäftigtengruppen der Aufsichtsbehörde (insbesondere des so genannten »sonstigen Fachpersonals«), die keine hoheitlichen Befugnisse besitzen und deshalb auch nicht als Aufsichtsbeamte im Sinne der Statistik zu betrachten sind. In Hessen liegt der Fall offenbar ganz ähnlich, auch hier machte die Zahl der Aufsichtsbeamten von 2013 auf 2014 einen völlig unplausiblen Sprung um 62% nach oben.

Ein realistischeres Bild von den Aufsichtskapazitäten im Arbeitsschutz erhält man, wenn man zumindest für Niedersachsen die stark überhöht erscheinenden SuGA-Zahlen durch die im Jahresbericht der Landesbehörde angegebenen Zahlen ersetzt. (Für Hessen ist eine solche Korrektur leider nicht möglich.) Es ergeben sich dann für das Jahr 2016 deutschlandweit nur mehr 2.990 (statt 3.185) Aufsichtsbeamte, der 8,5%ige Anstieg seit 2013 schrumpft auf ein mageres Plus von 1,9%, und der Rückgang im Zeitraum 2006–2016 fällt mit -15,1% (gegenüber -9,5%) nun sehr viel deutlicher aus.

Noch problematischer erscheint die Personalsituation in der staatlichen Aufsicht, wenn man berücksichtigt, wie unterschiedlich diese sich in den 16 Bundesländern entwickelt hat. Während einige Länder die Jahre seit 2006 (bis 2016) trotz gewisser Schwankungen relativ unbeschadet überstanden oder in dieser Zeit sogar Zuwächse erlebt haben (Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein), sind in anderen Ländern die Zahlen förmlich abgestürzt. Dies gilt insbesondere für den Osten Deutschlands: nirgends sind seit 2006 prozentual so viele Aufsichtsbeamte verloren gegangen wie hier, Rückgänge von 32% (Mecklenburg-Vorpommern), 36% (Sachsen), 43% (Thüringen), 46% (Sachsen-Anhalt) und 52% (Brandenburg) sprechen eine deutliche Sprache.

Selbst von der seit 2014 erfolgten relativen Stabilisierung der Lage war in den ostdeutschen Ländern kaum etwas zu spüren. So sank in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt die Zahl der Aufsichtsbeamten auch in diesem kurzen Zeitraum jeweils noch um zweistellige Prozentwerte. Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen kamen zuletzt zwar etwas glimpflicher davon, mehr Aufsichtsbeamte gab es allerdings auch hier nicht.

Bei der Beurteilung der staatlichen Aufsichtskapazitäten ist schließlich zu berücksichtigen, dass diese keineswegs nur für die Überwachung des Arbeitsschutzes zur Verfügung stehen, sondern auch für andere Aufgabenbereiche wie etwa die Produktsicherheit, den Gefahrguttransport oder den Immissionsschutz eingesetzt werden. In welchem Umfang solche Aufgaben die Personalressourcen der Aufsicht binden, lässt sich ebenfalls dem SuGA entnehmen.

Seit 2014 wird dort ausgewiesen, wie viele Aufsichtsbeamte mit der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften im engeren Sinne befasst sind und wie viele sich den nicht direkt arbeitsschutzbezogenen Rechtsgebieten widmen. Leider sind diese statistischen Informationen lückenhaft, da entsprechend differenzierte Zahlen aus zwei relativ personalstarken Arbeitsschutzverwaltungen (Baden-Württemberg und Bayern) bislang nicht vorgelegt werden. Geht man hilfsweise davon aus, dass hier die gleichen Relationen gelten wie im Durchschnitt der restlichen Länder, lässt sich die Zahl der Aufsichtsbeamten mit Arbeitsschutzaufgaben auf bundesweit etwas mehr als 1.800 schätzen. Demnach entfallen also fast zwei Fünftel der vorhandenen Aufsichtskapazitäten auf Aktivitäten in Rechtsgebieten außerhalb des Arbeitsschutzes. In einzelnen Ländern kann dieser Anteil durchaus noch höher liegen, so in Rheinland-Pfalz (58%), Niedersachsen (48%) oder Bremen (47%).

In Anbetracht des geschilderten Personallabbaus in den Arbeitsschutzbehörden verwundert es nicht, dass deren Kontrolltätigkeit vor Ort langfristig erheblich nachgelassen hat. Waren im Jahr 2006 insgesamt fast 230.000 Besichtigungen in rund 150.000 Betrieben durchgeführt worden, so verzeichnete die Statistik zehn Jahre später nur noch knapp 120.000 Besichtigungen in etwas weniger als 83.000 Betrieben – ein Minus von 48 bzw. 45% (Abb. 70). Von dieser Tendenz besonders stark betroffen sind kleine Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten.

Es ist somit offensichtlich, dass im Bereich der staatlichen Aufsicht dringender Handlungsbedarf besteht. Inzwischen tun sich hier gravierende Lücken auf, die auch nicht einfach durch die Präventionsdienste der Unfallversicherungsträger kompensiert werden können. Diese besitzen nämlich ein teilweise anders geartetes Aufgabenprofil und weisen zudem selbst eine langfristig rückläufige Personalausstattung und Besichtigungstätigkeit auf: Zwischen 2006 und 2016 nahm hier die Zahl der Aufsichtspersonen um 10%, die Zahl der besichtigten Unternehmen um 36,5% und die Zahl der durchgeführten Besichtigungen um 27,4% ab (Abb. 71).

Der erforderliche Zuwachs an staatlichen Aufsichtsbeamten wird sicherlich nicht kurzfristig zu realisieren sein, entsprechende Weichenstellungen müssen aber recht bald erfolgen. Dies wurde den politisch Verantwortlichen auch vom europäischen »Senior Labour Inspectors Committee« (SLIC) bei dessen Evaluation der deutschen Arbeitsschutzbehörden unmissverständlich ins Stammbuch geschrieben. Es steht zu hoffen, dass daraus nun endlich die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.